Agile Methoden im Management werden häufig ausschließlich mit der Entwicklung von Software assoziiert. Das ist nur eines der grundsätzlichen Missverständnisse in diesem Zusammenhang.
Im Kontext des Themas Agilität sind zwei große Missverständnisse zu beobachten. Da ist zum einen die Reduktion des Begriffs auf die Eigenschaft „Geschwindigkeit“. Die in vielen Erfolgsberichten inzwischen ausführlich dokumentierte höhere Umsetzungsgeschwindigkeit ist der unmittelbar sichtbare Vorteil der Agilität. Strategisch bedeutsam ist jedoch auch die daraus erwachsende Option, sich flexibler auf geänderte Rahmenbedingungen einzustellen.
Das zweite große Missverständnis besteht darin, Agilität ausschließlich dem IT-Bereich und hier primär der Entwicklung von Software zuzuschreiben. Diese eher einseitige Sicht führt dann dazu, dass in Unternehmen doch nicht alles schneller geht.
Agilität ist mehr als IT-Projektmanagement
Bekanntlich liegen die Ursprünge agiler Methoden in der Entwicklung von Software. Ansätze wie Scrum oder Kanban erwuchsen aus der Beobachtung, dass die klassischen Ansätze in der Entwicklung von IT-Anwendungen immer weniger zu Wettbewerbsdruck und geänderten IT-Infrastrukturen passten. In der klassischen Welt übergab der jeweilige Fachbereich der IT eine umfangreiche Featureliste in Form einer Spezifikation, die dann von der Entwicklung abgearbeitet wurde. Das dauerte seine Zeit und nicht immer hatte das Ergebnis dann noch etwas mit den eigentlichen Wünschen des Fachbereichs zu tun.
Grob zusammengefasst fangen agile Methoden die Nachteile tradierter Methoden dadurch ab, dass kleinere und somit überschaubare Arbeitspakete in fest definierten Zeiträumen eigenverantwortlich im Team abgearbeitet werden. Fachbereiche werden früher konsultiert und wirken in interdisziplinären Teams mit, können also stärker Einfluss auf den Entwicklungsprozess nehmen. Die Akzeptanz bei Endanwendern wird durch frühzeitiges Testen ermittelt. Das führt somit letztlich dazu, dass Fehlentwicklungen („An den Kund:innen vorbei“) vermieden werden. Zumal aktuelle Entwicklungen und Bedürfnisse früher in die Entwicklung einfließen können.
Dieses Konzept hat sich inzwischen in zahllosen Unternehmen und deren IT-Abteilungen bewährt, stellt deswegen aber nicht den einzigen Anwendungsfall der Agilität dar.
BizDevOps: Agile Unternehmenskultur entwickeln
Strategien und Pläne für mehrere Jahre gehören bei vielen Versicherern immer noch zum Alltag und zum traditionellen Vorgehensmodell. Das umfasst dann die mehr oder weniger strukturierte Findung von Ideen, die in einem klassischen Projekt umgesetzt werden sollen. Eine Haltung, die sich indes nur noch bedingt für das Marktumfeld eignet.
Über viele Branchen hinweg lässt sich ein aus der Erfahrung mit der Pandemie verändertes Verhalten von Kund:innen beobachten, was auch in einer geänderten Erwartung resultiert. Die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Wandel vollzieht, dürfte selbst Experten überrascht haben. Keinesfalls kann sie aber im Rahmen von Mehrjahresplänen abgebildet werden.
Zudem sehen sich Versicherer nach wie vor an vielen Stellen durch Insurtechs herausgefordert. Deren Produkte und Offerten mögen auf den ersten Blick nicht so umfänglich und ausgefeilt sein wie Produkte tradierter Versicherer. Dafür sind sie aber gerade für junge Zielgruppen verständlicher und dank agiler Methoden in Start-ups auch schnell an Wünsche der Versicherten anpassbar.
Die Digitalisierung und die über die Jahre gewachsene Bedeutung von IT-Projekten innerhalb der Versicherungswirtschaft sind zwar wichtige Treiber von Veränderungen, aber die Vorteile, die sich aus Agilität in der IT ergeben, werden ohne einen Kulturwandel im Unternehmen aufgefressen.
Dieser Kulturwandel lässt sich auf den griffigen Begriff „BizDevOps“ fokussieren. Das Kürzel steht für Business, Development und Operations. Es steht im Kern für eine engere Zusammenarbeit von Fachbereichen und IT. Denn ohne IT sind die Prozesse in einem Versicherungskonzern heute nicht mehr denkbar.
Grundlagen schaffen und Grenzen respektieren
Agilität in diesem Sinne umfasst damit mehr als den IT-Bereich. Agile Methoden gehören genauso in den Vertrieb: Im Kontext einer Versicherung bedeutet mehr Agilität, dass Linienorganisation und Projekte nicht mehr strikt voneinander getrennt sind. Stattdessen werden sie miteinander verknüpft. Das erfordert von allen Beteiligten auch den Mut, bereits Bestehendes ständig zu hinterfragen und eine Verbesserung im Sinne der Kund:innen erreichen zu wollen.
Zu besseren Produkten, effizienteren Prozessen und mehr Kundenorientierung führt das alles aber nur, wenn Ideen und kreative Beiträge der interdisziplinären Teams auch umgesetzt werden dürfen, also nicht in Hierarchien ersticken. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen agile Methoden „einführen und nutzen“ und „sie leben“.
Alle Abteilungen, die an der Umsetzung eines Produktes beteiligt oder innerhalb der Wertschöpfungskette aktiv sind, müssen in einem ganzheitlichen Prozess mit- einbezogen werden. Das betrifft also etwa Sales und Marketing, Produkt- und Portfoliomanagement ebenso wie Personal- und Finanzabteilungen.
Es geht somit um nicht weniger als einen Wandel der Kultur des gesamten Unternehmens. Das ist indes nicht ausschließlich eine Führungsaufgabe. Auch die Teams selbst sind gefragt, denn sie müssen sich ihrer neuen kollektiven Verantwortung bewusst sein.
Dass dies alles nicht über Nacht funktioniert, ist fast schon selbsterklärend. Führungskräfte müssen lernen, den Mitarbeitenden zu vertrauen. Diese wiederum verstehen und sich daran gewöhnen, dass sie nun auch mit Entwicklern zusammentreffen. Zudem gibt es in jeder großen Organisation auch etablierte Prozesse in Hinsicht auf das Reporting und Risikomanagement, die auf Berichtswesen klassischer Vorgehenswelten abgestimmt sind.
Die Werkzeuge und Methoden der Agilität sind schnell erklärt, sie tatsächlich mit Leben zu erfüllen, ist die größere Herausforderung. Denn es geht um den Abbau von Wissens-Silos und von bürokratischen Prozessen. Die bereichsübergreifende Zusammenarbeit wird nur klappen, wenn Hindernisse auf dem Weg dorthin erkannt und beseitigt werden.
Agilität erfordert deutlich mehr als die Einführung von Tools und betrifft eben nicht nur die IT. Sie ist ein Kulturwandel in Selbstorganisation, ein Wandel in den Köpfen – von Mitarbeitenden und Führungskräften..
Mehr zu Digitalisierung, Agilität und Kulturwandel erfahren Sie hier. Wenn Sie mit uns über innovative Versicherungs-IT ins Gespräch kommen möchten, können Sie sich gerne an unseren Experten Karsten Schmitt, Head of Business Development, wenden.
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