Digitale Versicherung – Digitalisierung des Bestands­geschäfts

Digitale Versicherung – Bestands­­geschäft digitalisieren


Häufig werden Digitalisierungsprogramme mit der Exploration von neuen Geschäftsmodellen verbunden. Dabei ist für viele Versicherer die Digitalisierung des Bestandsgeschäfts ebenso von hoher Bedeutung. Dieser Spagat aus Exploration und Volumentransformation ist für jeden Versicherer sehr anspruchsvoll. Grund genug, sich diesen Herausforderungen in einem Blogartikel zu stellen.

Digitale Interaktionen im Mittelpunkt

Ein guter Startpunkt für Digitalisierungsinitiativen besteht darin, die wesentlichen Kunden- oder Partnerinteraktionen genauer unter die Lupe zu nehmen. Plattformökonomen nennen diese Interaktionen mitunter „Minimum Viable Interactions“.
Eine der digitalen Erfolgsformeln ist: Je nutzbringender die digitale Interaktion, desto höher die Kundenzufriedenheit und der sogenannte Net Promoter Score (NPS), welcher Teil der digitalen Wachstums-DNA ist.

Doch was sind nun „Viable“-Interaktionen?
Bei Amazon.com ist eine Viable Interaction die Abwicklung der Bestellung, für Uber hingegen die eigentliche Mobilitätsdienstleistung – und beim Versicherer?
Neben den Beratungs- und Abschlussprozessen ist es sehr lohnenswert, auch einen intensiven Blick auf Leistungs- und Schadenprozesse zu richten.
Nicht selten sind genau diese Prozesse für den Kunden weit weniger digital als die Beratungs- und Neugeschäftsjourneys. Dennoch sind solche Prozesse sehr elementar, denn im Leistungsfall oder während der Leistungsphase findet ja der eigentliche „Konsum“ des Versicherungsproduktes statt.

Es ist also auch besonders wichtig, die Interaktionen in den nachgelagerten Prozessen möglichst kunden- und partnerzentriert zu gestalten: Effizienz, echte Omnikanalfähigkeit und transaktionale Self-Servicefähigkeiten sind wichtige Kriterien. Allein die kombinierte Datenbereitstellung aus Offline- und Onlinesystemen in einem Omnikanalansatz stellt jedoch große Herausforderungen an die oftmals sehr heterogene Unternehmensarchitektur eines Versicherers.

Prozessdigitalisierung heißt vor allem Prozessvereinfachung

Eine 1:1-Digitalisierung von bestehenden Prozessen ist in vielen Fällen nicht empfehlenswert. Eine hohe Variantenvielfalt, eine eingeschränkte zentrale Steuerungsfähigkeit sowie unnötige manuelle Eingriffe und damit Warteschleifen sind in der Praxis häufig anzutreffen.

Bestehende Prozesse sollten daher bereits vor ihrer Digitalisierung vereinfacht, automatisiert und in ihren Varianten reduziert werden. Hier haben sich folgende grundsätzliche Vorgehensweisen bewährt:

  1. End-to-End-Betrachtung des Prozesses, also keine isolierte Optimierung von einzelnen Prozessschritten (Value-driven Optimization)
  2. Konsequente Einnahme der Nutzerperspektive und -erwartungshaltung (User Experience)
  3. Skalierung der im Unternehmen vorhandenen Daten zur Optimierung der Prozesse und des Nutzererlebnisses (Data-driven Processes)

Bei aller Analytik darf der menschliche Faktor nicht außer Acht gelassen werden.
Der oben angesprochene Leistungsfall ist häufig von menschlichen Emotionen wie Schock, Verärgerung, Sorge oder gar Trauer überlagert.
Empathie, die über User Experience erforschbar und lernbar ist, muss sich also auch in der Prozessoptimierung und den Kundenschnittstellen zeigen.

Digitale Interoperabilität als Voraussetzung

Ein weiteres, wichtiges Grundsatzthema ist die „digitale Interoperabilität“. Diese Fähigkeit beschränkt sich nicht nur auf technische Fragen wie Cloudservices oder digitale Schnittstellen (APIs) – sie muss vielmehr umfassender verstanden werden. Es geht um die Fähigkeit eines Versicherers, digitale Interaktionen mit Kunden, Partnern und Lieferanten ausführen zu können:

  • Services und Prozessschnittstellen wie Angebotsservices in Partnernetzwerken anbieten
  • Digitale Dienstleistungen oder SaaS-Produkte als Teil der digitalen Supply-Chain konsumieren, beispielsweise Anbieter von SaaS-basierten Bestandsplattformen oder digitale Schadendienstleister
  • Vertikale Integration von Versicherungsprodukten und -prozessen in branchenfremde Ökosysteme, wie beispielsweise Gesundheit oder Handel

Digitale Interoperabilität bedingt auch ein digitales Betriebsmodell. Dazu gehören unter anderem eine agile Aufbauorganisation, das Management der Servicebeziehung zu Consumer- und Providerökosystemen als auch die Implementierung und Kontrolle von regulatorischen Vorgaben in der eigenen Organisation.

So fordert nicht nur die GDPR (DSGVO), sondern explizit die europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA Interoperabilität, Portabilität und Schutz von versicherungsbezogen Daten.
VAIT und BSI-Grundschutz stellen weitere Grundanforderungen an das digitale Betriebsmodell.
Diese Vorgaben müssen während der Implementierung in die Unternehmensarchitektur, die Betriebsprozesse und das Providermanagement integriert werden. Eine sehr heterogene, nicht standardisierte IT-Landschaft erschwert diesen Schritt.

Ausblick: Digitale Interoperabilität führt zu digitalen Geschäftsmodellen

Ein wichtiger Aspekt von digitaler Interoperabilität ist, dass sie eine wichtige Voraussetzung für ökosystem- und plattformbasierte Geschäftsmodelle darstellt. Hierunter ist nicht nur zu verstehen, dass IT- oder Cloudplattformen zum Einsatz kommen, sondern vielmehr die Fähigkeit eines Versicherers, seinen Endkunden durch Orchestrierung von Services aus anderen Ökosystemen völlig neuartige Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können: Kombiniert beispielsweise ein Krankenversicherer den Gesundheitsverlauf eines Versicherten mit digitalen und individualisierten Präventionsprogrammen, kann ein echter Wandel von einer Krankenkasse zu einem Gesundheitsdienstleister vonstattengehen. Eine bessere Gesundheit durch digitale Präventionsassistenten – ein großer Mehrwert für viele Kundinnen und Kunden!

Kundeninteraktionen, Prozesse, digitale Interoperabilität und Ökosysteme sind also vier Kernthemen, die Digitalisierungsinitiativen prägen. Regulatorische Vorgaben stellen dabei wichtige Leitplanken dar.

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